5 Minuten
Genetische Faktoren und Schlaganfall: Der Einfluss der Blutgruppe auf das Risiko eines frühen Schlaganfalls
Neue genetische Forschungen zeigen einen deutlichen Zusammenhang zwischen bestimmten Blutgruppen und einem erhöhten Risiko, bereits in jungen Jahren einen Schlaganfall zu erleiden. Eine umfassende Analyse aus dem Jahr 2022 weist darauf hin, dass Personen mit speziellen Varianten der Blutgruppe A – insbesondere dem Subtyp A1 – ein größeres Risiko für einen Schlaganfall vor dem 60. Lebensjahr aufweisen. Diese Erkenntnis erweitert das Wissen darüber, wie erbliche Faktoren, vor allem die Blutgruppe, unsere Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Erkrankungen beeinflussen können.
Blutgruppen und ihre biologische Bedeutung
Die meisten Menschen kennen die Hauptblutgruppen A, B, AB und O. Diese werden durch das Vorhandensein oder Fehlen bestimmter Antigene auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen definiert. Weniger bekannt ist, dass es innerhalb dieser Gruppen weitere genetische Unterschiede gibt, die sich aus unterschiedlichen Genvarianten für die Antigen-Ausprägung ergeben. Gerade diese feinen genetischen Unterschiede, etwa bei Subgruppen wie A1 oder O1, können gesundheitliche Risiken beeinflussen – darunter auch die Anfälligkeit für Herz-Kreislauf-Ereignisse wie den ischämischen Schlaganfall.
.avif)
Großangelegte genetische Studie identifiziert zentrale Risikofaktoren
Um den Zusammenhang zwischen Blutgruppe und frühem Schlaganfallrisiko zu untersuchen, analysierte ein internationales Forscherteam die Daten von 48 genetischen Studien. In dieser Metaanalyse wurden etwa 17.000 Personen mit einem ischämischen Schlaganfall im Alter zwischen 18 und 59 Jahren mit knapp 600.000 Kontrollpersonen ohne Schlaganfall-Historie verglichen.
Durch eine genomweite Assoziationsanalyse wurden zwei maßgebliche genetische Regionen identifiziert, die mit einem erhöhten Risiko für früh einsetzende Schlaganfälle verbunden sind. Eine davon liegt im sogenannten ABO-Locus, der die Blutgruppeneigenschaften bestimmt. Es zeigte sich, dass Menschen mit der genetischen Variante für die Blutgruppe A1 ein um 16 % erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall vor dem 60. Lebensjahr haben. Dagegen hatten Träger der O1-Genvariante ein um 12 % vermindertes Risiko. Auch bei Blutgruppe B wurde ein um 11 % erhöhtes Risiko festgestellt – dies unabhängig vom Alter im Vergleich zu Personen ohne Schlaganfall.
Schlüsselmechanismen und mögliche biologische Ursachen
Die genauen Gründe für das gesteigerte Schlaganfallrisiko bei Blutgruppe A1 sind noch nicht abschließend geklärt. Dr. Steven Kittner, Gefäßneurologe an der University of Maryland und Studienleiter, vermutet jedoch, dass blutgerinnungsbezogene Mechanismen eine Rolle spielen könnten. „Warum gerade Blutgruppe A ein erhöhtes Risiko mit sich bringt, ist noch unklar“, erklärt Kittner. „Vermutlich sind Faktoren der Blutgerinnung, wie Blutplättchen, Zellen an den Gefäßwänden und bestimmte zirkulierende Proteine, beteiligt.“ Diese Einflüsse gelten bei thrombosebedingten Erkrankungen als relevant und könnten bei genetisch vorbelasteten Personen zu früheren Schlaganfällen beitragen.
Öffentliche Gesundheit: Einordnung des Risikos
Obwohl Meldungen über den Einfluss der Blutgruppe auf das Schlaganfallrisiko besorgniserregend erscheinen mögen, ist eine sachliche Einordnung wichtig. In den USA beispielsweise erleiden jährlich knapp 800.000 Menschen einen Schlaganfall – drei Viertel davon sind über 65 Jahre alt. Das Schlaganfallrisiko steigt ab dem 55. Lebensjahr, vor allem durch Faktoren wie Bluthochdruck, hohe Cholesterinwerte und ungesunde Lebensgewohnheiten, weniger durch genetische Komponenten allein.
Das mit Blutgruppe A verbundene Zusatzrisiko ist zwar statistisch signifikant, bleibt jedoch moderat. Fachleute weisen darauf hin, dass eine intensivere Vorsorge oder medizinische Überwachung allein aufgrund der Blutgruppe nicht notwendig ist. Menschen mit genetischer Veranlagung sollten weiterhin auf die bekannten Präventionsmaßnahmen achten: eine gesunde Lebensweise, Kontrolle des Blutdrucks und der Blutfettwerte sowie den Verzicht auf Rauchen.
Einschränkungen der Studie und Perspektiven für die Forschung
Die untersuchte Studienkohorte umfasste hauptsächlich Teilnehmer aus Nordamerika, Europa, Japan, Pakistan und Australien – nur 35 % stammten aus nicht-europäischen Bevölkerungsgruppen. Für eine umfassende Einschätzung des Einflusses der Blutgruppe auf verschiedene Bevölkerungsgruppen sind zukünftig Studien mit größerer Diversität erforderlich. „Weitere Untersuchungen sind notwendig, um die zugrundeliegenden Mechanismen des erhöhten Schlaganfallrisikos zu klären“, betont Dr. Kittner.
Alter bei Krankheitsbeginn: Unterschiede zwischen frühen und späten Schlaganfällen
Eine Besonderheit der aktuellen Studien: Sie unterscheiden zwischen früh auftretenden und späten Schlaganfällen. Im Vergleich von Patienten unter 60 Jahren zu älteren Betroffenen zeigte sich, dass das erhöhte Risiko durch Blutgruppe A bei älteren Patienten nicht mehr signifikant war. Dies deutet darauf hin, dass frühzeitige Schlaganfälle durch andere Mechanismen entstehen als solche im höheren Lebensalter.
Jüngere Patienten leiden seltener an atherosklerosebedingten Schlaganfällen; stattdessen stehen Störungen der Gerinnung und die Entstehung von Blutgerinnseln häufiger im Vordergrund. Blutgruppenspezifische Mechanismen könnten daher gerade bei dieser Patientengruppe eine wichtigere Rolle spielen.
ABO-Genregion und übergeordnete kardiovaskuläre Auswirkungen
Frühere Studien haben gezeigt, dass der ABO-Genlocus nicht nur für die Bestimmung der Blutgruppe entscheidend ist, sondern ebenfalls Einfluss auf die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen hat. Genabschnitte für Blutgruppen A und B stehen in Zusammenhang mit arterieller Verkalkung, was das Risiko für Herzinfarkt erhöht. Darüber hinaus erhöht sich durch diese Genvarianten leicht die Gefahr für venöse Thromboembolien – eine Form von Blutgerinnseln in den Venen.
Fazit
Aktuelle Erkenntnisse verdeutlichen einen differenzierten Zusammenhang zwischen der Blutgruppe – insbesondere der genetischen Variante A1 – und dem Risiko für früh einsetzende Schlaganfälle. Obwohl dieser Zusammenhang neue Forschungsansätze eröffnet, ist eine medizinische Handlung allein auf Basis der Blutgruppe derzeit nicht angezeigt. Die wichtigsten Maßnahmen zur Prävention von Schlaganfall bleiben ein gesunder Lebensstil und die Kontrolle bekannter Risikofaktoren. Weitere Studien könnten künftig zu einer personalisierteren Risikobewertung führen – derzeit liefern die Ergebnisse jedoch vor allem spannende Einblicke in das Zusammenspiel von Genetik und Herz-Kreislauf-Gesundheit.
Kommentare