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Könnte Nikotin bei Long COVID bedingtem Gehirnnebel helfen?

Könnte Nikotin bei Long COVID bedingtem Gehirnnebel helfen?

2025-06-27
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Könnte Nikotin eine Linderung bei Long COVID Gehirnnebel bieten?

Long COVID, ein Zustand, der durch anhaltende Symptome nach einer SARS-CoV-2-Infektion gekennzeichnet ist, stellt sowohl Forscher als auch medizinisches Fachpersonal weiterhin vor große Herausforderungen. Eines der beeinträchtigendsten Symptome, von dem Millionen weltweit betroffen sind, ist der sogenannte „Gehirnnebel“ – ein Begriff, der Konzentrationsschwierigkeiten, Gedächtnislücken und mentale Erschöpfung beschreibt. Auf der Suche nach innovativen Therapieansätzen rückt nun eine unerwartete Substanz in den Fokus: Nikotin, bekannt vor allem aus Präparaten zur Raucherentwöhnung wie Kaugummis und Pflastern.

Wie Nikotin ins Gespräch über Long COVID kam

Nikotin wird traditionell kontrolliert eingesetzt, um Menschen beim Rauchausstieg zu unterstützen. In jüngster Zeit legen jedoch Erfahrungsberichte und erste Studien nahe, dass Nikotin möglicherweise auch neurologische Langzeitfolgen wie Gehirnnebel und Erschöpfung bei Long COVID bessern kann. Ein besonders beachteter Erfahrungsbericht, veröffentlicht in Slate, beschreibt eine Frau, deren kognitive Beschwerden sich nach der Einnahme von niedrig dosiertem Nikotinkaugummi deutlich verbesserten. Zwar sind Einzelfallberichte kein wissenschaftlicher Nachweis, doch ihre Erfahrungen stimmen mit Ergebnissen einer viel beachteten Pilotstudie aus Deutschland überein.

Die deutsche Pilotstudie: Erste positive Anzeichen

In dieser Vorstudie erhielten vier Long COVID-Betroffene täglich niedrig dosierte Nikotinpflaster. Bemerkenswerterweise zeigten alle Teilnehmer innerhalb von sechs Tagen spürbare Verbesserungen bei Symptomen wie Müdigkeit, Schwäche, Atemnot und verringerter Belastbarkeit. Auch diejenigen, die ihren Geruchs- oder Geschmackssinn verloren hatten, berichteten innerhalb von 16 Tagen über eine vollständige Genesung dieser Sinne. Aufgrund der geringen Teilnehmerzahl mahnen die Forschenden jedoch zur Zurückhaltung. Dennoch öffnen die Ergebnisse Perspektiven für weiterführende, größere klinische Studien.

Long COVID und neurologische Zusammenhänge

Long COVID betrifft einen bedeutenden Anteil der Menschen nach einer COVID-19-Infektion. Während sich manche innerhalb weniger Wochen vollständig erholen, erleben schätzungsweise 3 % bis 5 % der Betroffenen – etwa 2,8 % der britischen Bevölkerung – Beschwerden über Monate oder sogar Jahre hinweg. Gehirnnebel, Müdigkeit und Stimmungsschwankungen zählen zu den am häufigsten berichteten neurologischen Problemen.

Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass diese Symptome durch eine Kombination verschiedener Faktoren wie anhaltende Entzündung, verringerte Sauerstoffversorgung des Gehirns, Schädigungen der Blutgefäße und Störungen der Blut-Hirn-Schranke bedingt sein könnten. Die genauen Mechanismen, wie Long COVID kognitive Funktionen beeinträchtigt, sind Gegenstand intensiver Untersuchungen.

Die Acetylcholin-Hypothese

Eine zentrale Theorie des deutschen Forscherteams betrifft Acetylcholin – einen Neurotransmitter, der essenziell für Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Stimmung ist. Acetylcholin wirkt über bestimmte Rezeptoren (nikotinische Acetylcholinrezeptoren) im gesamten Nervensystem. Die Hypothese vermutet, dass das Coronavirus die Funktion dieser Rezeptoren stört, entweder direkt oder durch Beeinträchtigung ihrer Signalübertragung. Ein solcher Mechanismus könnte viele der kognitiven und emotionalen Beschwerden bei Long COVID erklären.

Warum könnte Nikotin helfen? Wirkmechanismus und Darreichungsformen

Das in Tabakprodukten vorkommende Nikotin bindet ebenfalls an nikotinische Acetylcholinrezeptoren. Daraus ergibt sich die Annahme, dass Nikotin gestörte Rezeptorfunktionen zumindest teilweise wiederherstellen und die durch das Virus verursachten Beeinträchtigungen abmildern könnte. Auch wenn die Vorstellung, dass Nikotin das Virus direkt verdrängt, spekulativ und wissenschaftlich nicht gesichert ist, ist seine Rolle bei der Beeinflussung dieser neuronalen Entwicklungen ein interessantes Forschungsfeld.

Nikotin-Ersatzpräparate sind als Pflaster, Kaugummis, Lutschtabletten oder Nasensprays erhältlich. Pflaster liefern die Substanz kontinuierlich über die Haut und verringern so schnelle Nikotinspitzen im Blut, was das Suchtrisiko senken kann. Kaugummis und Lutschtabletten ermöglichen dagegen eine flexible Dosierung, wodurch jedoch die Blutkonzentration rasch ansteigen kann.

Bewertung der kognitiven Effekte von Nikotin

Studien zur Wirkung von Nikotin auf die kognitive Leistungsfähigkeit zeigen gemischte Ergebnisse. Während einige Studien leichte Verbesserungen bei Aufmerksamkeit und Wachsamkeit feststellten, sind die Befunde hinsichtlich Gedächtnis und Konzentration uneinheitlich. Insbesondere für Long COVID stehen belastbare Daten bislang kaum zur Verfügung, was den Bedarf an gezielter Forschung unterstreicht.

Risiken und Sicherheit

Nikotin birgt – selbst in rauchfreien Formen wie Pflastern oder Kaugummis – gesundheitliche Risiken. Zu den häufigsten Nebenwirkungen zählen Übelkeit, Schwindel, erhöhter Puls und Blutdruck. Für Long COVID-Betroffene mit Bewegungseinschränkungen könnten einzelne dieser Reaktionen gewissen Nutzen bringen; dies sollte jedoch nur unter ärztlicher Überwachung geschehen. Langzeitanwendung, insbesondere bei Nichtraucher*innen, wirft wichtige Fragen bezüglich Suchtpotenzial und Herz-Kreislauf-Risiken auf.

Fachliche Vorsicht und alternative Ansätze

Medizinerinnen und Mediziner warnen ausdrücklich davor, Nikotinpräparate zur Selbstmedikation gegen Long COVID-Gehirnnebel oder ähnliche Beschwerden einzusetzen. Es fehlen standardisierte Dosierungsrichtlinien, das Abhängigkeitspotenzial ist beträchtlich, und zu viele langfristige Risiken sind bislang unklar. Stattdessen empfehlen Experten bewährte Maßnahmen: regelmäßige Bewegung im eigenen Tempo, ausgewogene Ernährung, Verzicht auf Alkohol und Tabak, ausreichend Schlaf, Achtsamkeitstraining und kognitive Aktivitäten können die neurologische Regeneration fördern.

Auch werden Medikamente wie Guanfacin (teils kombiniert mit N-Acetylcystein) in ersten Patientengruppen auf ihre Wirksamkeit gegen Gehirnnebel erprobt. Darüber hinaus wurde Nikotin in einer klinischen Studie bei leichten kognitiven Störungen im Alter getestet, wobei Long COVID jedoch nicht das Ziel der Untersuchung war. Angesichts zunehmender Berichte und erster Hinweise ist zu erwarten, dass größere klinische Studien zur Sicherheit und Wirksamkeit von Nikotin bei Long COVID folgen werden.

Fazit

Die Diskussion um einen möglichen Einsatz von Nikotin-Ersatztherapien bei Long COVID-Gehirnnebel macht die Komplexität der Erkrankung und ihrer Behandlung deutlich. Erste Berichte und kleine Studien deuten auf einen potenziellen Nutzen hin, doch bleibt die Wirksamkeit und Sicherheit unzureichend belegt. Bis belastbare Ergebnisse vorliegen, sollten Nikotin-basierte Ansätze ausschließlich im Rahmen wissenschaftlicher Untersuchungen erfolgen. Die globale Herausforderung Long COVID erfordert weiterhin intensive Forschung, um effektive und sichere Therapien – sowohl medikamentös als auch lebensstilorientiert – für Betroffene entwickeln zu können.

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