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Mit dem fortschreitenden Anstieg der globalen Temperaturen durch den Klimawandel wird ein umfassendes Verständnis der Auswirkungen von Hitze auf die öffentliche Gesundheit immer wichtiger. Fachleute aus Medizin und Wissenschaft warnen, dass bestimmte verschreibungspflichtige Medikamente die Anfälligkeit für hitzebedingte Erkrankungen erhöhen können, indem sie die körpereigenen Mechanismen zur Temperaturregulation beeinträchtigen. Von Herzmedikamenten über Psychopharmaka bis hin zu Insulin – das Wissen um diese Risiken ist für Patientinnen und Patienten, Angehörige sowie medizinisches Personal gleichermaßen von zentraler Bedeutung.
Wissenschaftliche Grundlagen: Wie der Körper auf Hitze reagiert
Der menschliche Organismus nutzt ein fein abgestimmtes System, um die Körpertemperatur konstant zu halten (Thermoregulation). Wichtige Funktionen hierbei sind das Schwitzen, die vermehrte Durchblutung der Haut sowie die Aufrechterhaltung eines ausgeglichenen Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts. Werden diese Prozesse – etwa durch hohe Außentemperaturen oder Vorerkrankungen – gestört, erhöht sich das Risiko für Hitzeschäden wie Hitzschlag oder Hitzeerschöpfung deutlich.
Einige häufig verordnete Medikamente können diese Schutzmechanismen unbeabsichtigt beeinträchtigen und so die Widerstandsfähigkeit gegenüber Hitzestress verringern. Besonders mit der Zunahme extremer Wetterereignisse ist das Verständnis der pharmakologischen und physiologischen Wechselwirkungen unerlässlich.
Medikamente, die die Hitzeempfindlichkeit verstärken
Antidepressiva: SSRI und trizyklische Antidepressiva
Antidepressiva – speziell selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und trizyklische Antidepressiva (TCA) – werden häufig zur Behandlung psychischer Erkrankungen eingesetzt, können aber die Fähigkeit des Körpers, Hitze zu regulieren, verändern. Trizyklische Antidepressiva hemmen den Neurotransmitter Acetylcholin, der für das Schwitzen nötig ist, was zu verminderter Schweißbildung führen kann. Gleichzeitig wird mitunter der Noradrenalin-Spiegel erhöht, sodass bei manchen Patient:innen vermehrtes Schwitzen auftritt. Studien zeigen, dass bis zu 14 % der Nutzer:innen Veränderungen ihres Schwitzverhaltens unter Antidepressiva feststellen.
SSRI können die Funktion des Hypothalamus – das Steuerzentrum für die Temperaturregulation im Gehirn – beeinflussen, indem sie den Serotoninspiegel verändern. Dadurch wird das Signal zur Schweißbildung eingeschränkt, was das Risiko für Überhitzung steigert. Interessanterweise kann sowohl zu starkes als auch zu schwaches Schwitzen riskant sein – entweder droht Dehydrierung oder die effektive Kühlung ist bei Hitzewellen gestört.

Antipsychotika: Beeinträchtigung der Temperaturwahrnehmung
Antipsychotika sind bei der Behandlung von Erkrankungen wie Schizophrenie und bipolarer Störung wichtig, stellen jedoch bei hohen Temperaturen eine besondere Herausforderung dar. Sie blockieren Dopamin und beeinflussen Serotoninwege, was die Wahrnehmung von Körperwärme im Hypothalamus beeinträchtigen kann. Patient:innen spüren deshalb Durst oder Überhitzung häufig zu spät, um rechtzeitig reagieren zu können.
Zudem haben viele dieser Medikamente anticholinerge Effekte, wodurch die Aktivität von Acetylcholin weiter vermindert und das Schwitzen behindert wird. Diese doppelte Wirkung kann den Blutdruck senken und die Herz-Kreislauf-Funktion belasten – insbesondere bei Hitzebelastung.
Kardiovaskuläre Medikamente: Betablocker und Diuretika
Beta-Blocker, die vor allem bei Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen verschrieben werden, reduzieren Schlagfrequenz und Pumpkraft des Herzens. Dieser Vorteil für das Herz kann jedoch dazu führen, dass weniger Blut zur Haut transportiert wird und so die Wärmeabgabe eingeschränkt ist. Diuretika – unverzichtbar in der Therapie von Bluthochdruck und Herzschwäche – steigern die Urinausscheidung, was unter Hitzestress das Risiko für Flüssigkeitsmangel und Elektrolytverschiebungen erhöht. Auch Medikamente wie Ramipril und Losartan (ACE-Hemmer bzw. Sartane) können das Durstgefühl dämpfen und so das Risiko für Dehydratation zusätzlich erhöhen.
Ist der Flüssigkeitshaushalt gestört, nimmt die Fähigkeit zum Schwitzen ab und es drohen Symptome wie Schwindel, Ohnmacht oder weitere hitzebedingte Komplikationen – besonders bei älteren Menschen oder chronisch Kranken.
Stimulanzien: Überhitzungsgefahr oft unbemerkt
Stimulanzien wie Amphetamine, die häufig zur Behandlung von ADHS eingesetzt werden, erhöhen die Konzentration von Dopamin und Noradrenalin, regen das zentrale Nervensystem an und steigern damit die Stoffwechselrate sowie die Körpertemperatur. Besonders bei körperlicher Anstrengung oder Aufenthalt in warmen Umgebungen kann dies das Überhitzungs- und Hitzschlagrisiko erhöhen.
Interessanterweise gibt es in aktuellen Studien gemischte Ergebnisse: Manche Analysen zeigen, dass ADHS-Patient:innen mit Stimulanzientherapie ein geringeres Risiko für hitzebedingte Erkrankungen haben könnten – möglicherweise aufgrund besserer Hydratationsgewohnheiten oder niedrigerem Körpergewicht. Dennoch sollten Patient:innen vorsichtig bleiben und sich der Zeichen eines Hitzeschadens bewusst sein, bis umfassendere Datenlage vorliegt.
Insulin: Besondere Herausforderungen für Diabetiker:innen
Menschen mit Diabetes, die Insulin verwenden, müssen sich während Hitzewellen besonders schützen. Hohe Temperaturen bewirken eine Erweiterung der Blutgefäße, was die Insulinaufnahme beschleunigen und so zu einem raschen Abfall des Blutzuckerspiegels führen kann. Eine Hypoglykämie kann Zittern, Reizbarkeit, übermäßiges Schwitzen, Schwindel und in schweren Fällen Bewusstlosigkeit oder Krampfanfälle auslösen. Da sich manche Symptome mit denen eines Hitzeschlags überschneiden, kann es leicht zu Fehleinschätzungen kommen.
Zudem beeinträchtigt Hitze die Wirksamkeit von Insulin, weshalb eine kühle Lagerung in Kühlschrank oder Isoliertasche – besonders im Sommer – unerlässlich ist. Verfärbungen oder Trübungen im Insulin können auf eine Hitzeschädigung hindeuten.
Strategien für mehr Sicherheit bei Hitze
Ältere Menschen, chronisch Erkrankte (vor allem mit Herz- oder Lungenerkrankungen) sowie Personen mit vielfältigen Medikamentenverordnungen gehören zu den Risikogruppen bei Hitzewellen. Um Hitzefolgen wie Erschöpfung, schwere Dehydrierung oder gar Hitzschlag vorzubeugen, ist rechtzeitiges Risikomanagement entscheidend.
Folgende evidenzbasierte Empfehlungen unterstützen die Sicherheit:
- Lagern Sie Medikamente immer gemäß den Hinweisen auf der Packung und vermeiden Sie Plätze, an denen sie zu großer Hitze ausgesetzt sind (zum Beispiel im Auto oder auf der Fensterbank). Nicht nur Insulin, auch Inhalatoren und Adrenalin-Autoinjektoren (EpiPen) können bei Hitze ihre Funktion verlieren.
- Achten Sie auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr – sofern Ihr Arzt nichts anderes empfiehlt. Dehydrierung erhöht die Nebenwirkungen und Toxizität vieler Medikamente. Beispielsweise verstärkt Flüssigkeitsmangel die nierenschädigende Wirkung entzündungshemmender Mittel wie Ibuprofen, während Stimmungsstabilisierer wie Lithium bei Wassermangel schneller toxisch werden können.
- Planen Sie Aktivitäten im Freien in die kühleren Tageszeiten und halten Sie sich bei großer Hitze bevorzugt in klimatisierten Räumen oder im Schatten auf.
- Achten Sie auf Frühzeichen von Hitzeschäden wie Verwirrtheit, Schwindel, Übelkeit oder starkes Schwitzen. Bei solchen Anzeichen sollten Sie sofort einen kühleren Ort aufsuchen und bei anhaltenden Beschwerden ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.
- Setzen Sie Medikamente niemals eigenmächtig ab, sondern sprechen Sie bei Unsicherheiten mit Ihrem Arzt oder Ihrem Apotheker. Medizinische Fachkräfte können gegebenenfalls angepasste Strategien oder Alternativen vorschlagen, um besser mit Hitze zurechtzukommen.
Fazit
Mit der steigenden Häufigkeit und Intensität von Hitzewellen rücken die Zusammenhänge zwischen verschreibungspflichtigen Medikamenten, Hitzebelastung und Gesundheit immer stärker in den Fokus. Patientinnen, Patienten und medizinisches Personal sollten sich bewusst sein, wie gängige Arzneimittel die natürliche Temperaturregulation beeinträchtigen können. Wer Medikamente umsichtig verwaltet, auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achtet und Umweltbedingungen berücksichtigt, kann das Risiko für hitzebedingte Erkrankungen effektiv senken – auch bei Medikamenten, die die Thermoregulation beeinflussen. Ein informiertes, vorausschauendes Handeln bietet den besten Schutz, da sich Klima und Hitzeexposition weiter verändern.
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