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Verborgene Riesen entdeckt: Durchbruch in der Meeresvirologie

Verborgene Riesen entdeckt: Durchbruch in der Meeresvirologie

2025-06-09
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4 Minuten

Entdeckung verborgener Riesen: Ein Meilenstein für die Meeresvirologie

Eine bahnbrechende Studie hat mehr als 230 bisher unbekannte Riesenviren aus den Tiefen der Ozeane identifiziert und damit unser Verständnis mariner Ökosysteme grundlegend erweitert. Diese riesigen Viren, kürzlich im Fachjournal Nature npj Viruses vorgestellt, beeinflussen nicht nur das mikrobielle Leben der Ozeane. Sie sind zudem in der Lage, den Prozess der Photosynthese bei Meeresalgen zu stören und gezielt zu verändern – ein essentieller Vorgang, der die Gesundheit mariner Nahrungsketten sowie den globalen Kohlenstoffkreislauf beeinflusst.

Wissenschaftlicher Hintergrund: Was sind Riesenviren und warum sind sie wichtig?

Riesenviren, auch als nucleocytoplasmatische große DNA-Viren (NCLDVs) bezeichnet, unterscheiden sich deutlich von gewöhnlichen Viren. Sie verfügen über Genomgrößen, die mit einigen Bakterien vergleichbar sind, und enthalten mehrere Hundert Gene. Aufgrund technischer Einschränkungen wurden diese Viren lange Zeit kaum beachtet, gelten aber nun als Schlüsselakteure für das Überleben und die Evolution mariner Protisten – einzellige Organismen am Ursprung mariner Nahrungsnetze. Zu dieser Gruppe zählen Algen, Amöben und Flagellaten, die nicht nur das Ökosystem Meer unterstützen, sondern durch Photosynthese wesentlich zur globalen Kohlenstoffbindung beitragen.

Wenn Riesen-DNA-Viren diese Protisten infizieren, können sie deren Zellfunktionen erheblich beeinflussen. Die Auswirkungen reichen von Massensterben, wie schädlichen Algenblüten (explosionsartige Algenvermehrung mit teils toxischen Folgen), bis hin zu Veränderungen der Meereschemie und potenziellen Konsequenzen für die menschliche Gesundheit. Forschende vermuten seit Langem, dass diese viralen Prozesse eine weit größere Rolle bei der Steuerung von Nährstoffkreisläufen und dem Auftreten von Algenblüten spielen, als bisher angenommen – und damit auch Ökologie und Küstenwirtschaft beeinflussen.

Auf der Suche nach verborgenen Viren: Supercomputer und innovative Methoden

Die Entdeckung der Riesenviren in komplexen Meeresproben erforderte leistungsstarke rechnergestützte Methoden. Das Forschungsteam der Rosenstiel School of Marine, Atmospheric, and Earth Science entwickelte hierfür die fortschrittliche Bioinformatik-Plattform BEREN (Bioinformatic Eukaryotic Viruses Retrieval from Environmental metageNomics). Mithilfe von Supercomputern, insbesondere dem Pegasus-System der Universität Miami, analysierten die Wissenschaftler riesige, weltweit gesammelte metagenomische Datensätze – genetisches Material aus globalen Gewässern vom Arktischen bis zum Antarktischen Ozean.

Dank BEREN konnten nicht nur die Genome von 230 neuen Riesenviren nachgewiesen, sondern auch deren genetische Vielfalt und potenzielle Funktionen näher untersucht werden. Im Vergleich mit bestehenden Datenbanken annotierten die Forschenden die neu entdeckten Genome und deckten einzigartige Anpassungen und Mechanismen dieser Viren auf.

Zentrale Erkenntnisse: Virale Beeinflussung der Photosynthese und biotechnologische Möglichkeiten

Besonders beeindruckend ist die Identifizierung von 530 bislang unbekannten funktionellen Proteinen in den viralen Genomen – neun davon stehen direkt im Zusammenhang mit der Photosynthese. Dies zeigt, dass Riesenviren nicht nur Protisten befallen, sondern deren Photosynthese gezielt manipulieren können, was weitreichende Auswirkungen auf den Energiefluss im marinen Nahrungsnetz hat.

Dr. Mohammad Moniruzzaman, Mitautor und Assistenzprofessor für Meeresbiologie und Ökologie, erklärte: „Je besser wir die Vielfalt und die ökologische Rolle der Riesenviren sowie ihre Wechselwirkungen mit Algen und anderen Meeresmikroben verstehen, desto besser können wir künftig schädliche Algenblüten, die weltweit Gesundheitsrisiken bergen, voraussagen und gegebenenfalls steuern.“

Solche Blüten, verursacht durch ein explosionsartiges Wachstum von Phytoplankton, gefährden Fischerei und Badegewässer massiv. Die gewonnenen Erkenntnisse könnten helfen, Regionen besser auf diese Ereignisse und auf neue virale Bedrohungen in Buchten, Flüssen und Seen weltweit vorzubereiten.

Benjamin Minich, Erstautor und Doktorand, ergänzt: „Wir fanden heraus, dass Riesenviren Gene tragen, die sonst nur bei zellulärem Leben vorkommen – darunter solche für den Kohlenstoffstoffwechsel und die Photosynthese. Das unterstreicht ihre zentrale Rolle bei der Umprogrammierung des Zellstoffwechsels der Wirte, mit spürbaren Auswirkungen auf die marine Biogeochemie.“

Weitreichende Bedeutung und zukünftige Perspektiven

Die neu identifizierten Virenfunktionen bieten spannende Möglichkeiten für die Biotechnologie, etwa durch neue Enzymfunde. Während das Forschungsteam Hunderte Genome mikrobieller Gemeinschaften mit bisher unerreichter Detailtiefe analysierte, entstanden neue Ansätze zur Erfassung, Überwachung und Klassifizierung neuartiger Meeresviren.

Solche Fortschritte könnten Umweltämter künftig befähigen, Krankheitserreger und Verschmutzungen in Gewässern noch effizienter zu überwachen und so reaktionsfähigere Strategien gegen ökologische Gefahren entwickeln. Der regelmäßige Einsatz verbesserter Bioinformatik-Tools wie BEREN markiert einen Wendepunkt für die Meeresvirologie.

Fazit

Die Entdeckung von 230 neuen Riesenviren in den Weltmeeren stellt einen bedeutenden Schritt für die Erforschung mariner Mikrobiologie dar. Diese Viren verändern die Photosynthese mariner Organismen und besitzen einzigartige genetische Eigenschaften, die entscheidend für die Gesundheit von Ozeanökosystemen, biogeochemische Kreisläufe und letztlich auch für den Menschen sind. Während weitere Schichten der unsichtbaren Welt der Ozeane erschlossen werden, könnten zukünftige Forschung und innovative Nutzung dieser Viren helfen, Biotechnologie voranzutreiben und globale Strategien zum Schutz vor Algenblüten und anderen marinen Bedrohungen zu entwickeln.

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