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Die zellulären Ursachen von Müdigkeit: Die Rolle der Mitochondrien beim Schlaf
Jeder Mensch kennt das überwältigende Gefühl der Müdigkeit nach einer Nacht mit zu wenig Schlaf – das ständige Bemühen, wach und aufmerksam zu bleiben. Obwohl die Bedeutung von Schlaf allgemein anerkannt ist, blieb der genaue zelluläre Mechanismus, der uns zum Schlafen antreibt, bislang ungeklärt. Neue Forschungsergebnisse der Universität Oxford werfen nun Licht auf diesen grundlegenden biologischen Prozess: Sie deuten darauf hin, dass Mitochondrien – die "Kraftwerke" unserer Zellen – eine zentrale Rolle beim Signal für den Schlafbedarf spielen könnten.
Hintergrund: Warum benötigen wir Schlaf?
Seit Jahrzehnten erforschen Wissenschaftler, warum Schlaf für den Körper unverzichtbar ist – von der Gedächtnisbildung über die Reparatur bis zur Entgiftung des Gehirns. Doch der direkte Auslöser auf zellulärer Ebene blieb lange ein Rätsel. Um diese Frage zu beantworten, konzentrierte sich das Team um den Physiologen Prof. Gero Miesenböck an der Universität Oxford auf Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster). Die schlaffördernden Neuronen dieser Tiere weisen grundlegende Ähnlichkeiten zu denen des Menschen auf.
"Wir wollten herausfinden, wozu Schlaf dient und warum er sich als so zwingend notwendig anfühlt", erklärt Miesenböck. "Obwohl die Vorteile des Schlafes gut dokumentiert sind, fehlte bislang eine eindeutige physische Ursache für das Entstehen von Müdigkeit."
Das Experiment: Fruchtfliegen als Modell für den Schlafmechanismus
In ihren Experimenten verglichen die Forscher ausgeruhte und schlafentzugene Fruchtfliegen. Sie analysierten sowohl die Genaktivität als auch die elektrische Aktivität in den neuronalen Schaltkreisen, die den Schlaf steuern. Es zeigte sich ein deutliches Muster: Schlafmangel führte zu einer Überlastung der Mitochondrien in jenen schlafregulierenden Neuronen.
Wie Mitochondrien das Bedürfnis nach Schlaf signalisieren
Mitochondrien sind für die Energieversorgung der Zellen verantwortlich, indem sie Sauerstoff und Nährstoffe in Adenosintriphosphat (ATP) umwandeln – den universellen Energieträger. Besonders bei erhöhtem Energiebedarf oder Schlafentzug setzen die Mitochondrien in schlafregulierenden Neuronen vermehrt überschüssige Elektronen frei. Dabei entstehen sogenannte freie Radikale beziehungsweise reaktive Sauerstoffspezies (ROS), die die Zellen schädigen können, wenn sie nicht neutralisiert werden. Die Anhäufung dieser Moleküle dient als Stresssignal und verstärkt das Bedürfnis der Neuronen nach erholsamem Schlaf.
Neurowissenschaftler Dr. Raffaele Sarnataro, Mitautor der Studie, erläutert: "Es ist problematisch, wenn Mitochondrien zu viele Elektronen verlieren. Dadurch entstehen schädliche Substanzen, welche die Neuronen – und schließlich das gesamte Gehirn – belasten."

Veränderung der mitochondrialen Aktivität beeinflusst Schlafverhalten
Um dieses Prinzip weiter zu prüfen, veränderten die Forscher genetisch die Rate des Elektronenlecks in den schlafsteuernden Neuronen der Fliegen. Exemplare mit erhöhtem Elektronenverlust produzierten mehr Stoffwechselabfall und benötigten wesentlich mehr Schlaf. Eine Reduzierung dieser Produktion führte hingegen zu weniger Schlafbedarf. Die Ergebnisse bestätigen deutlich, dass mitochondriale Stress-Signale direkt mit dem Schlafbedarf des Gehirns verknüpft sind.
Bedeutung für Schlafforschung und Gesundheit
Das Verständnis der mitochondrialen Grundlagen des Schlafreizes ist von großer Bedeutung für die Wissenschaft und Medizin. Eine gesunde mitochondriale Funktion könnte helfen, nicht nur Schlafstörungen vorzubeugen, sondern auch neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer entgegenzuwirken, die eng mit mitochondrialer Dysfunktion und gestörtem Schlaf zusammenhängen.
Die Studie liefert zudem weitere biologische Einblicke: Kleine Tiere mit erhöhtem Stoffwechsel schlafen häufig mehr und haben eine kürzere Lebensspanne – wahrscheinlich ausgelöst durch den kumulierten Einfluss von metabolischem Stress und Reparaturbedarf in den neuronalen Netzwerken.
"Diese Forschung hilft, eine zentrale Frage der Biologie zu beantworten: Warum brauchen Lebewesen Schlaf? Die Antwort scheint eng mit dem zellulären Energiestoffwechsel verbunden zu sein," fasst Dr. Sarnataro zusammen.
Fazit
Die Forschung der Oxford-Gruppe bedeutet einen bedeutenden Fortschritt im Verständnis, warum Schlaf für die Gesundheit des Gehirns unverzichtbar ist. Indem das Bedürfnis nach Schlaf mit der Überlastung der Mitochondrien auf zellulärer Ebene verknüpft wird, rückt ein zentraler Prozess der Schlafbiologie in den Mittelpunkt. Zukünftige Studien könnten dieses Wissen nutzen, um neue Ansätze zur Behandlung von Schlafstörungen und neurodegenerativen Krankheiten zu entwickeln – und damit möglicherweise auch zur Förderung der allgemeinen zellulären Gesundheit und Langlebigkeit beitragen.
Quelle: nature
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