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Elementumwandlung: Von der Alchemie zur modernen Fusionsforschung
Jahrhundertelang faszinierte die Vorstellung, gewöhnliche Stoffe in Gold zu verwandeln, Generationen von Alchemisten und inspirierte zahlreiche wissenschaftliche Unternehmungen. Der Traum der Goldherstellung lebt auch heute fort — allerdings basiert er inzwischen auf den Prinzipien der Kernphysik und nicht mehr auf mystischer Philosophie.
Das zugrunde liegende wissenschaftliche Prinzip der Umwandlung eines Elements in ein anderes, als Kerntransmutation bekannt, ist heute gut erforscht und erwiesen. Teilchenbeschleuniger und Hochenergie-Kollider wie der renommierte Large Hadron Collider (LHC) am CERN in Genf kollidieren routinemäßig Atome und erzeugen dabei gelegentlich neue Elemente – auch Gold. Diese Methoden sind jedoch extrem ineffizient für die Goldproduktion. Beispielsweise wurden im Rahmen des ALICE-Experiments am CERN während vier Jahren lediglich 29 Pikogramm Gold (ein Billionstel Gramm) erzeugt. Das verdeutlicht die Unwirtschaftlichkeit, durch Teilchenkollisionen relevante Mengen Gold zu gewinnen.
Ein radikaler Ansatz: Goldgewinnung mit Fusionsreaktoren
Das kalifornische Start-up Marathon Fusion verfolgt einen revolutionären Ansatz, um Elemente durch Kernfusion zu erzeugen. Anstatt auf kollidierende Teilchen zu setzen, möchte das Unternehmen die intensiven Neutronenströme eines Fusionsreaktors nutzen, um Quecksilber in Gold umzuwandeln.
Dabei wird ein Prozess verwendet, bei dem das stabile Isotop Quecksilber-198 mit hochenergetischen Neutronen bestrahlt wird. Durch diese Kernreaktion entsteht das instabile Isotop Quecksilber-197, das schnell zu stabilem Gold-197 zerfällt – dem einzigen natürlich vorkommenden Isotop von Gold. Theoretisch wäre es mit dieser Methode in industriellem Maßstab möglich, in einem Fusionskraftwerk der Gigawattklasse mehrere Tonnen Gold pro Jahr zu produzieren, wie die Entwickler schätzen.
Die Wissenschaft hinter der Neutronentransmutation
Im Zentrum von Marathon Fusions Konzept steht die Nutzung von Deuterium und Tritium – verschiedene Wasserstoffisotope – als Brennstoff für den Fusionsreaktor. Wenn diese im Plasma des Reaktors verschmelzen, werden enorme Energiemengen und hochenergetische Neutronen freigesetzt. Für die gewünschte Transmutation von Quecksilber-198 zu Gold-197 sind Neutronen mit einer Energie von über 6 Megaelektronenvolt (MeV) erforderlich. Diese tief in Materialien eindringenden Neutronen ermöglichen die Umwandlung auf atomarer Ebene.
Um die Machbarkeit und Effizienz ihres Verfahrens abzusichern, setzt das Start-up auf einen „digitalen Zwilling“. Diese komplexe Computersimulation bildet die Physik des Fusionsreaktors inklusive Neutronenfluss und radioaktiver Prozesse nach. Klare experimentelle Bestätigung wird jedoch erst mit einem in Betrieb befindlichen Fusionskraftwerk in kommerziellem Maßstab möglich sein – eine Technologie, die aktuell noch nicht existiert.

Aktuelle Herausforderungen und Stand der Fusionstechnologie
Kernfusion bietet das Potenzial für saubere Energiegewinnung nach dem Vorbild der Sterne. Doch ein kommerzieller Fusionsreaktor gehört weiterhin zu den größten ingenieurtechnischen und wissenschaftlichen Herausforderungen weltweit. Moderne Versuchsanlagen wie der Joint European Torus (JET) im Vereinigten Königreich haben bislang nur geringe Energiemengen aus Fusion erzielt, was die großen Hindernisse verdeutlicht.
Um diese Hürden zu überwinden, arbeiten Wissenschaftler an neuen Reaktorkonzepten. So entwickelt Großbritannien das Projekt Spherical Tokamak for Energy Production (STEP), das durch innovative Steuerung des Plasma-Abgases kleinere und effizientere Fusionsreaktoren ermöglichen soll. Der erste Prototyp von STEP ist für 2040 geplant und nährt vorsichtigen Optimismus für die Fusionsbranche.
Ökonomische, praktische und ökologische Aspekte
Obwohl theoretische Berechnungen zeigen, dass Goldproduktion aus Quecksilber im Fusionsreaktor möglich ist, dämpfen verschiedene Faktoren die Erwartungen. Einerseits wäre das erzeugte Gold zunächst radioaktiv und müsste mit aufwändigen, sicherheits- und genehmigungspflichtigen Verfahren aufbereitet und gelagert werden, bevor es gefahrlos verwendet werden könnte.
Außerdem sind digitale Simulationen – selbst bei hoher Detailgenauigkeit – immer von realen Betriebsbedingungen abhängig. Komplexe physikalische Effekte oder technische Probleme können den Modellen entgehen, was umfangreiche experimentelle Überprüfungen nötig macht. Wie Kern- und Teilchenphysiker betonen, führen Lücken in den Simulationsdaten oft zu überoptimistischen Prognosen. Ohne marktreife Fusionskraftwerke und praktische Implementierung der Transmutation bleibt die wirtschaftliche und sicherheitstechnische Bewertung dieser Goldproduktion spekulativ.
Trotzdem weckt die Idee großes Interesse bei Investoren, die sowohl das Potenzial der Fusionsenergie als auch alternative Quellen für Edelmetalle im Blick haben. Die Aussicht auf einen neuen „kalifornischen Goldrausch“, diesmal ausgelöst durch bahnbrechende Fusionstechnologie, bleibt faszinierend – auch wenn sie noch in ferner Zukunft liegt.
Fazit
Das Konzept, per Kernfusion Gold aus Quecksilber herzustellen, verbindet den jahrhundertealten Menschheitstraum mit modernster Wissenschaft. Unternehmen wie Marathon Fusion zeigen innovative Wege für die Nutzung von Fusionsreaktoren auf. Doch bevor sich Visionen von industrieller Edelmetallproduktion realisieren lassen, müssen zahlreiche technische, wissenschaftliche und regulatorische Hürden gemeistert werden. Vorerst bleibt die Herstellung von Gold in großem Maßstab durch Kernfusion eine spannende, aber weiterhin theoretische Möglichkeit an der Schnittstelle zwischen Kernphysik und Edelmetallmarkt.
Quelle: theconversation
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